Die Zustimmung des Integrationsamts zu einer krankheitsbedingten Kündigung begründet nicht die Vermutung, dass ein (unterbliebenes) betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) die Kündigung nicht hätte verhindern können. Laut Bundesarbeitsgericht ist eine derartige Vermutungswirkung der Einschätzung der Behörde gesetzlich nicht vorgesehen. Zudem obliege die Überprüfung der Wirksamkeit einer nachfolgend erklärten Kündigung allein den Arbeitsgerichten.
Länger als fünf Jahre arbeitsunfähig
Eine einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Versicherungssachbearbeiterin war von Dezember 2014 bis Mai 2020 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Im Mai 2019 fand auf ihre Initiative ein Präventionsgespräch statt, an dem auch Mitarbeiter des Integrationsamts teilnahmen. Im selben Monat lud die Arbeitgeberin sie zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement ein. Nachdem sich die Frau jedoch geweigert hatte, die vorgelegte datenschutzrechtliche Einwilligung unverändert zu unterzeichnen, wurde das bEM nicht durchgeführt. Zuletzt wies die Arbeitgeberin die Frau Ende September 2019 auf die Notwendigkeit der Einwilligung für die Durchführung der Maßnahme hin. Von September bis Oktober 2019 war die Schwerbehinderte bei dem Unternehmen im Rahmen einer Wiedereingliederung tätig. Das Integrationsamt stimmte der Kündigung zu, woraufhin es der Angestellten im Mai 2020 ordentlich fristgerecht zum 31.12.2020 kündigte. Ein bEM bot sie ihr vorher nicht mehr an.
LAG: Kündigung war unverhältnismäßig
Das Arbeitsgericht Stuttgart wies die Kündigungsschutzklage ab. Das sah das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg anders, da die Kündigung sozial ungerechtfertigt nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sei (NZA-RR 2022, 405). Die Beklagte wäre verpflichtet gewesen, ein erneutes bEM einzuleiten. Letztlich könne nicht festgestellt werden, dass es objektiv nutzlos gewesen wäre, wäre es durchgeführt worden. Die Revision der Beklagten beim BAG blieb ohne Erfolg.
Keine Vermutungswirkung
Den Erfurter Richtern zufolge hat das LAG im Ergebnis zu Recht angenommen, der Zustimmungsbescheid des Integrationsamts vom Mai 2020 begründe keine Vermutung dafür, dass ein bEM eine Kündigung nicht hätte verhindern können. Eine Vermutungswirkung der Zustimmungsentscheidung des Integrationsamts finde bereits im Wortlaut des § 167 Abs. 2 SGB IX keine Stütze. Das bEM und das Zustimmungsverfahren nach den §§ 168 ff. SGB IX hätten unterschiedliche Ziele, prozedurale Abläufe und Beteiligte. Während das bEM ein verlaufs- und ergebnisoffener Suchprozess sei, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln solle, überprüfe das Integrationsamt einen vom Arbeitgeber bereits gefassten Kündigungsentschluss und treffe eine Ermessensentscheidung. Diese könne keine Bedeutung für die erweiterte Darlegungslast des Arbeitgebers zukommen, da sich die Wirksamkeit einer Kündigung nach arbeitsrechtlichen Normen beurteile und allein den Arbeitsgerichten obliege. In der Weigerung, die Datenschutzerklärung unverändert zu unterzeichnen, sei auch keine Ablehnung des bEM zu sehen.
BAG, Urteil vom 15.12.2022 – 2 AZR 162/22
(Quelle: Beck online)